Prof. Dr.-Ing. Olaf Strelow
Das
Matrix-Modell, ein neues Berechnungsverfahren für die thermohydraulische Berechnung
und dynamische Simulation von Fernwärmenetzen
Fernwärmenetze besitzen eine
wachsende Bedeutung bei der kommunalen Wärmeversorgung. Sie verbinden die
Konsumenten von thermischer Energie mit verschiedenen Energieeinspeisern.
Hierdurch wird eine hohe Versorgungssicherheit erreicht. Andererseits entsteht mit
zunehmender Größe des Fernwärmenetzes ein erhöhter Aufwand bei Steuerung und
Regelung der Energieverteilung.
Zur
Gewährleistung einer sicheren Versorgung der Kunden sind an bestimmten
Netzpunkten Mindestdrücke einzuhalten. Für diese Aufgabe werden lokale Regler
eingesetzt. Da die einzuhaltenden Mindestdrücke an den Knoten nicht konstant
sind, sondern von der Netzbelastung abhängen, treten Situationen auf in denen
Regler "gegeneinander" arbeiten und Instabilitäten im Netz auftreten.
Nach
baulicher Erweiterung bestehender Netze, weisen diese häufig veränderte
hydraulische Eigenschaften auf, so dass die Modifizierung der Reglereinstellungen
erforderlich ist. Befriedigende Reglereinstellungen liegen häufig erst nach
langen Beobachtungs- und Testzeiträumen vor. Die Möglichkeit des Versagens in
extremen Situationen ist trotzdem nicht ausgeschlossen.
Effekte
durch nichtoptimale Regelung sind durch Kenntnis der physikalischen
Eigenschaften des Netzes vermeidbar. Mit einem adäquaten Berechnungsmodell ist
es möglich, jede Lastsituation zu simulieren und somit optimale
Reglereinstellungen zu bestimmen. Diese Vorgehensweise ist während der
Planungsphase von Netzen sowie im operativen Netzbetrieb sinnvoll.
Die Modellgleichungen eines Rohrleitungsnetzes
sind nichtlinear. Die Zahl der Gleichungen hängt von der Komplexität des Netzes
ab. Es hat sich als äußerst vorteilhaft herausgestellt, die Modellgleichungen
als quasilinear aufzufassen. Dadurch ist es möglich, durchgehend mit leicht
parametrierbaren Matrizen zu arbeiten. Die Matrix-Modelle für die hydraulische
und thermische Berechnung eines Fernwärmenetzes weisen nachfolgende
Eigenschaften auf:
- Behandlung beliebiger
Netzstrukturen inklusive vermaschter Strukturen
- Gewährleistung einer schnellen
und sicheren Berechnung ohne Startwertvorgabe
- Möglichkeit stationärer und
dynamischer Simulationen
Bild 1:
Ein einfaches Rohrleitungsnetz mit zwei Einspeisungen und zwei Entnahmen
In Bild 1
ist ein einfaches vermaschtes Rohrleitungsnetz dargestellt. Es weist vier
Netzknoten K1, K2, ... K4 und fünf
Rohrleitungen L1, L2, ... L5 auf. Jede
Rohrleitung ist für Vorlauf und Rücklauf doppelt ausgeführt. Der Grundgedanke
der Matrix-Modelle wird nachfolgend an diesem Beispiel demonstriert.
2.1 Die hydraulische Berechnung
Zur
hydraulischen Berechnung eines Fernwärmenetzes ist die Kenntnis der Längen, der
Durchmesser und der Strömungsbeiwerte sämtlicher Rohrleitungen zwischen den
Netzknoten erforderlich. Mit diesen Daten und den Stoffwerten werden die Strömungswiderstände
Ri berechnet, welche die Hauptdiagonalen der Widerstandsmatrix R
bilden.
Die
Struktur des Rohrleitungsnetzes gemäß Bild 1 wird eindeutig mit der
Kopplungsmatrix K beschrieben. Die Zeilen stellen Knoten, die Spalten
Leitungen dar. Ein negatives Vorzeichen bedeutet Entnahme, ein positives Einspeisung.
R = K =
Die
Berechnung eines Rohrleitungsnetzes geschieht mit den Matrizen R und K
in Analogie zum 'Ohmschen Gesetz'. Die Lösung erfordert Iterationen, welche
jedoch schnell und numerisch stabil verlaufen. Durch Einführung von
Zeitkonstanten ist eine Erweiterung des Modells für dynamische Simulationen
möglich /1/.
2.2 Die thermische Berechnung
Jedes
Fernwärmenetz weist Isolationsverluste auf. Je nach Strömungsgeschwindigkeit
und der damit verbundenen Verweilzeit im Rohrabschnitt bewirken diese Verluste
unterschiedliche Temperaturabsenkungen. Bei Lastwechsel sind daher unerwünschte
Mischungseffekte möglich.
Für die
Berechnung wird jede Rohrleitung des Fernwärmenetzes als Wärmeübertrager
aufgefasst, welcher Wärme an die Umgebung abgibt. Von jedem Rohrabschnitt i
muss neben den Stoffwerten, der Massenstrom, der Wärmedurchgangskoeffizient und
die Oberfläche bekannt sein, um die Zahl der Übertragungseinheiten Ni
zu bestimmen. Die Betriebscharakteristiken Φi, als
dimensionslose Abkühlung der Rohrleitungen, bilden die Diagonale der Funktionsmatrix
F:
F = mit
Die Struktur
der Rohrleitungen wird mit der Kopplungsmatrix K beschrieben. Damit wird
dieses Problem auf die Berechnung einer Wärmeübertragerschaltung zurückgeführt.
Hierfür existiert eine effektive iterationslose Berechnungsmethode /2/.
3. Optimierung der Netz-Einspeisungen
Meist
speisen mehrere Erzeuger thermische Energie in ein Fernwärmenetz. Somit verfügt
das Netz über Freiheitsgrade bezüglich der Lastverteilung. Mit der
Lastverteilung werden die gesamten Betriebskosten der Erzeuger sowie das
Druckprofil des Netzes und damit die Förderkosten der Einspeiser beeinflusst.
Auch die thermischen Netzverluste sind von der Lastverteilung abhängig. Durch
optimale Lastverteilung ist es möglich, minimale Gesamtkosten für das
Fernwärmenetz inklusive seiner Einspeiser zu erreichen.
Die Lösung
der nichtlinearen Optimierung geschieht am schnellsten mit einem
Evolutions-Algorithmus. Aufgrund seiner numerischen Stabilität ist dieser
Algorithmus für eine optimierte Online-Regelung einsetzbar /1/.
4. Programmbeispiel
Mit den vorgestellten
Berechnungsmethoden ist es möglich, Fernwärmenetze beliebiger Struktur und
Dimension sowie ihre peripheren Anlagen kostenmäßig zu optimieren. Es liegen
Programme vor, deren Algorithmen die Matrix-Modelle automatisch generieren. Der
Nutzer hat im Menu nur die notwendigen Mindestangaben zu liefern.
Bild 2
zeigt die Oberfläche des Programms NetzF für die Struktur gemäß Bild 1. Das
Programm NetzF berechnet die notwendigen Vorlaufdrücke an den Knoten K1
und K3, wenn der Mindestdruck des Rücklaufes an den Knoten K1
und K3 pMin = 2 bar nicht unterschritten wird und jedem
Abnehmer an den Knoten K2 und K4 ein Mindestdifferenzdruck
von Dp=1 bar zur Verfügung steht.
Bild 2:
Berechnungsoberfläche für das Beispiel gemäß Bild 1 (NetzF-Demo-Version)
Aus der Verteilung
der Massenströme ist es leicht möglich, die Temperaturprofile der Rohrleitungen
zu ermitteln.
Weitere
Berechnungsoptionen sind die kostenmäßige Optimierung der Einspeisungen sowie
die Berücksichtigung von Armaturen, Reglern und Pumpen.
5. Literatur
[1] Strelow, O.
Optimierung
von Erdgasversorgungsnetzen
VDI
Berichte. (1994) S. 147-160
[2] Strelow, O.
Eine
allgemeine Berechnungsmethode für Wärmeübertragerschaltungen
Forschung
im Ingenieurwesen 63 (1997) 255-261
Springer-Verlag 1997